Fries

Eine Installation von Susanne Koheil und Günter Wintgens

Susanne Koheil Günter Wintgens, Fries 2009, Theater Münster
Foto: Günter Wintgens

2009

 

»[…] ein Titel soll die Ideen verwirren, nicht ordnen«[1], so lautet die Forderung von Umberto Eco. Der Titel des zweiten gemeinsamen Projekts von Susanne Koheil und Günter Wintgens, das im Foyer der Städtischen Bühnen Münster präsentiert wird, entspricht dieser Forderung, es heißt FRIES. Einerseits gilt dieser Titel als eine äußerst wirksame Referenz, er hat Signalcharakter und provoziert den Betrachter beziehungsweise Leser zum aktiven Verarbeitungsprozess. Andererseits spezifizieren die Künstler ihr Objekt durch den Titel in einem besonderen medialen Kontext. Von der klassischen visuellen Vorstellung des FRIESES übernehmen sie das Wesentliche – den horizontalen, linearen Rapport in einem gleich bleibenden Rhythmus. Es werden weder räumliche noch abstrakte Ornamente aneinandergereiht. Der FRIES zeigt eine Abfolge alternierend angeordneter Portraits zweier Protagonisten, nämlich der Künstler selbst. Diese sind mit Schriftzügen wie mit Kettengliedern verbunden. So wird eine spannende Interaktion von Bild und Text, von Mal- und Schreibgestus, von ikonischem und sprachlichem Zeichen initiiert.

 

Portraitiert wurden die Künstler von einer dritten Person, die für die erwünschte einheitliche Gestaltung Fotovorlagen verwendet hat. In einem emotional distanzierten, objektivierten Zeichnungsprozess entstanden in Comic-Form stilisierte Portraits, in denen physiognomische Daten, bildliche Verarbeitung biographischer Erfahrung oder psychologische Einsichten völlig reduziert wurden. Hier geht es auch nicht um die traditionelle Bedeutung des Portraits als Spiegel der Seele, als Ausdruck des Innenlebens. Den Portraitierten werden auch keine bestimmten Rollen zugeteilt – Künstlerutensilien und andere Attribute werden nicht zitiert. In den Brennpunkt wird die Positionierung der Köpfe, das heißt ihre präzisen Kopfdrehungen gerückt: Sie werden en face, im Dreiviertelprofil, im Profil, im verlorenen Profil präsentiert, bis der Betrachter den Hinterkopf sieht. Dieser Bewegungsakt ist so arrangiert, dass sich die Köpfe zwar gleichzeitig, aber nicht einträchtig in eine Richtung drehen. Was sich schließlich durch ein derartiges Arrangieren herauskristallisiert, ist nicht die Physiognomik der Protagonisten, sondern ihre Blickrichtung, der suchende Charakter des Blicks, die Frage nach einem möglichen Blickkontakt. So nimmt der Blick eine zentrale Position ein und wird als stilles Kommunikationsinstrument funktionalisiert.

 

Der Blick geht eine thematische Verbindung mit den Schriftzügen ein: expirer, la vie, aspirer, la vie. Die Kürze dieser sprachlichen Elemente hebt das Essenzielle hervor – es geht um die Luft, das Atmen, um das Leben und auch darum, was man individuell als Leben bezeichnet. Die Leichtigkeit der Luft oder des Atemzugs findet ihre Entsprechung im französischen akustischen Ausdruck.

 

Die lineare Bewegungsorganisation der Portraits erinnert einerseits an die Funktion eines die Wand gliedernden Bild- oder Reliefstreifens in einer architektonischen Situation. Andererseits lässt sie sich mit der Fragmentierung einer stillgestellten Bewegung assoziieren und damit imitiert sie Sequenzen eines Stummfilms. Beide Medien »leben« durch ihre Hauptelemente – Bild und Bewegung.

 

Durch die einheitliche, regelhaft stilisierte Portraitierung im linearen Nebeneinander entsteht der Eindruck des Seriellen. Hier geht es aber nicht um die Wiederholung des Bildes, sondern um die Wiederholung der wichtigsten Momente und Details, die für das ganze Konzept stehen. Andy Warhol hat das Prinzip der seriellen Reihung in der Gattung des Portraits am intensivsten eingesetzt. Er verwendete in den sechziger Jahren durch Automaten produzierte Fotostreifen. Die unter spezifischen Aufnahmebedingungen entstandenen Gesichtsstudien zeigten die zumeist gleichförmige Mimik des Dargestellten und drückten somit seine Austauschbarkeit und bloße Oberfläche aus. Eine ähnliche Wirkung haben auch die Portraits des FRIESES: Die skizzenhaft gezogene Kontur verflacht und entmaterialisiert die Figuren und reduziert sie fast bis zur Schablonenhaftigkeit. Ihr Zusammenhaften mit Klebestreifen beraubt sie jeglicher Ganzheits-, Festigkeits- und Stabilitätsvorstellungen.

 

Wenn man den FRIES nicht sieht, assoziiert man mit dem Titel ein bandförmiges, sich wiederholendes Ornament an einem Bauwerk. Der FRIES von Susanne Koheil und Günter Wintgens emanzipiert sich davon als postmodernes, höchst komplexes Kunstprojekt. Es beleuchtet Zusammenhänge, Wechselwirkungen, dichte Vernetzungen nicht nur zwischen den unterschiedlichen Medien, sondern auch die Vielfältigkeit und Variabilität der Kunstgenres. Hier wird das Nebeneinander in ein konzeptionelles Miteinander überführt. Das comicartige Spiel mit dem Abbild, das Serielle als künstlerisches Prinzip, die Imitation der Bewegung auf Papier sowie im Medium des Stummfilms verbinden sich in der Frage, ob sich die Blicke der Portraitierten jemals begegnen werden.

 

Text: Dalia Klippenstein

 

[1] Umberto Eco, Nachschrift zum Namen der Rose. Dtv 1986, S. 11

»»  FRIES